Bange machen gilt nicht
Am 17. Juli 2023Predigt von Bärbel Streich, gehalten am 27. März 2023 anlässlich der Einkehrtage für Rheinland und Westfalen am Möhnesee
Liebe Schwestern!
Könnt ihr euch noch an Spiele erinnern, die ihr als Kinder gespielt habt? Gerade in der letzten Zeit ist mir eines wieder in den Sinn gekommen, das wir mit allen Kindern der Nachbarschaft bis zur Erschöpfung gespielt haben. Eins stand auf der einen Seite des Spielfeldes alleine, die ganze Meute auf der gegenüberliegenden. „Wer fürchtet sich vorm bösen Wolf?!!!“ – „Niemand!“ – „Wenn er aber kommt?“ – „Dann laufen wir!“ Und dann ging die wilde Jagd los. Es galt auf die andere Seite zu kommen, ohne vom Wolf gefressen zu werden, denn dann war man bei der nächsten Runde selber Jäger. Alternativ fürchteten wir uns (nicht) vorm „wilden oder schwarzen Mann“. Ich glaube, die meisten Kinder in dieser unserer Zeit der „political correctness“ kennen solche Spiele gar nicht mehr. Beim „bösen Wolf“ geht der NABU auf die Barrikaden, beim „wilden Mann“ fühlen sich Frauen und Sonstige übergangen und beim „schwarzen Mann“ handelt man sich eine Klage wegen Rassismus ein – obwohl wir damals weniger an Menschen mit dunkler Hautfarbe, sondern eher an den Schornsteinfeger gedacht haben. Solche Renn- und Bewegungsspiele sind leider ziemlich in Vergessenheit geraten; in Zeiten von Smartphone und Lan-Parties würden sie manchem Kind guttun.
Wer fürchtet sich …? Ich wage mal die Aussage, dass die kesse Antwort „Niemand!“ heute keinem mehr über die Lippen kommt. Zu sehr ängstigen die drohenden Szenarien von Krieg (nur ca. 1500 km entfernt), alltäglicher Gewalt (in einem Regionalzug werden mal eben 2 Jugendliche abgestochen), Arbeitslosigkeit, Armut, Krankheit, Klimawandel und und und. Es herrscht eine richtige Weltuntergangsstimmung. „Wer fürchtet sich?“ Ich vermute: Alle, – außer dem Einen „…der auszog, das Fürchten zu lernen“ in Grimms Märchen.
Nun haben wir dieses Wochenende unter dem Thema „In der Welt habt ihr ANGST, aber seid geTROST.“ erlebt. Es steckt ein tolles Angebot in diesen Rüsttagen. Ich finde es schön, dass Seelsorge und Trost untereinander gesucht und gefunden wurde. Schon allein wegen dieser Gelegenheiten ist der Pfarrfrauenbund ein großer Segen.
Nachher geht es wieder in alle vier Winde von Rheinland und Westfalen. Jede von uns hat ein Stück Alltag hinter sich gelassen, als sie sich am Freitag auf die Räder machte – und kehrt nachher wieder dorthin zurück – die Eine vielleicht etwas besorgt, eine Andere voller Zuversicht und die Dritte würde hier in der Gemeinschaft am liebsten „Hütten bauen“.
Es hat mal jemand gesagt, in der Bibel stünde 365 Mal die Aufforderung „fürchte dich/fürchtet euch nicht“. Das ist eine nette Idee, aber ich weiß nicht, welche Bibelausgabe er hatte. In meiner Konkordanz waren wesentlich weniger Bibelstellen dazu aufgeführt. Aber das finde ich nicht so wichtig wie die Tatsache, dass dieser Trost in die unterschiedlichsten Situationen hinein zugesprochen wird. Einige habe ich herausgesucht und möchte sie mit Euch teilen.
Vorab muss ich noch etwas erklären: Grundsätzlich bevorzuge ich den Ausdruck: „Fürchte dich nicht!“ gegenüber dem „Hab keine Angst!“. Warum? Ich habe nicht nur die Beobachtung bei anderen, sondern auch bei mir selber gemacht, dass Angst HABEN die Situation meistens nicht korrekt beschreibt – meistens HAT die Angst UNS. „Angst“ hat den selben Wortstamm wie „Enge“. Wenn Angst regiert, dann wird es eng im Kopf und in den Gedanken, im Herzen und in den Gefühlen, in Planungen und manchmal sogar körperlich, wenn der Hals „eng“ wird, der Atem stockt und die Herzkranzgefäße Rumba tanzen.
Im normalen Sprachgebrauch werden „Angst“ und „Furcht“ oft vermischt.
Als wesentlichster Begründer einer Unterscheidung der beiden Begriffe kann der dänische Philosoph Sören Kierkegaard gelten. „Angst“ gilt seitdem als ein Zustand, als eine Reaktion auf eine unbestimmte, mögliche Gefahr, während „Furcht“ auf ein bestimmtes, konkretes Objekt verweist und von kürzerer Dauer ist. Wir werden im Verlauf der Predigt sehen, dass die Zusage „Fürchte dich nicht!“ von Gott immer in eine konkrete Situation hineingesprochen wurde. Er gab auch immer die Begründung dafür an, warum die Kraftanstrengung des Fürchtens unnötig war: „Fürchte dich nicht, denn …“.
Wen haben wir zuerst vor Augen? Vielleicht als erstes den Text aus Jesaja 43: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen: du bist mein.“ Das heißt, wir sind seit Golgatha und dem Ostermorgen erlöst von Hölle, Tod und Teufel; wir sind mit Namen bekannt und haben eine feste Verbindung zu dem, der uns sieht und unsere Furcht ernst nimmt, sie aber durch seinen Zuspruch auflöst. Eine Vertonung davon werden wir gleich noch singen.
Dann vielleicht Abraham, Mose, Josua, Zacharias, Joseph, Paulus … viele Gottesmänner, die alle den Zuspruch brauchten. Aber bei diesen Berichten möchte ich nicht stehen bleiben. Ich habe bewusst für diesen Gottesdienst andere ausgewählt.
Als Sklavin aus Ägypten mitgenommen, mit einem alten Ehepaar ohne festen Wohnsitz unterwegs. Aber sie hat sich arrangiert, hat sich eine Position, einen gewissen Wert erarbeitet. Denkt sie. Dann kommt der Tag, wo sie zu dem alten Mann befohlen wird. Ohne jede Möglichkeit sich zu wehren oder Einspruch erheben zu können wird ihr der Sexualakt aufgezwungen. Natürlich hatte sie den vergeblichen Kinderwunsch von Abraham und Sarah mitbekommen, dazu lebte man ja einfach auf zu engem Raum in Zelten miteinander. Dafür sollte jetzt ihr Körper herhalten? Als Hagar merkt, dass sie schwanger ist, entwickelt sie einen trotzigen Stolz – HA! SIE ist die, die das ersehnte Kind in sich trägt. Ihr Selbstwertgefühl wird gehörig gepuscht – und das lässt sie die Herrin merken. Sarah als unfruchtbare Frau ist sowieso extrem empfindlich in dieser unwürdigen Situation. Und so lässt sie sich das Auftrumpfen der Sklavin nicht gefallen. Frauengroll ist grauenvoll. Sie behandelt sie so widerlich, dass Hagar wegläuft. In der Wüste begegnet ihr ein Bote Gottes. Aus diesem Treffen ist die wunderbare diesjährige Jahreslosung genommen: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Sie wird zurück zu Sarah in den Dienst geschickt. Das ist bestimmt auch weiterhin kein Zuckerschlecken gewesen, aber sie hält diesmal durch. Ich kann mir vorstellen, dass ihr das Bewusstsein, bei Gott angesehen zu sein, Power gegeben hat. Ismael wird geboren, 10 Jahre später auch endlich Isaak. Als Sarah ihn nach 3 Jahren – wie damals üblich – abstillt, wird ein großes Fest gefeiert. Sarah wird zur Löwin als sie mitbekommt, dass der Sohn der verhassten Magd ihr Herzblatt auslacht. Nun kann ein Dreijähriger wohl mal stolpern, eigene lustige Wortkreationen erfinden oder beim Erkunden der Welt ungeschickt sein. Da muss man einfach lachen. Nicht bei Sarah. Sie trietzt ihren Mann so lange, bis der Hagar und seinen Sohn mit einem
Notproviant in die Wüste schickt, allerdings mit Gottes Erlaubnis und der Zusage, dass Gott sich kümmern wird. Und nun kommt eine Stelle, mit der ich immer etwas Schwierigkeiten habe. „Hagar warf das Kind unter einen der Sträucher, ging hin und setzte sich gegenüber und weinte.“ In Darstellungen sieht man meistens ein Kleinkind. Eine der wenigen Ausnahmen bildet ein Bild „Hagar und Ismael“ von Cazin. Ihr Lieben, der Bengel war immerhin ca 13 Jahre alt. Den kann man nicht einfach unter einen Busch werfen. Aber wie alt auch immer unsere Kinder sein mögen, wenn es ihnen nicht gut geht, dann leiden wir. Und in diese Notlage hinein, als Hagar keine Zukunft sieht und schier in der Trauer um ihren Sohn zerbrechen will, „rief der Engel des Herrn der Hagar zu und sprach zu ihr: Was ist dir Hagar? Fürchte dich nicht! Denn Gott hat auf die Stimme des Knaben gehört, da wo er ist; steh auf, nimm den Knaben und nimm ihn mit deiner Hand, denn ich will ihn zu einer großen Nation machen. Und Gott öffnete ihre Augen, und sie sah einen Wasserbrunnen.“ Wo Gott uns sein „Fürchte dich nicht!“ zuspricht, da öffnet er uns die Augen für neue Möglichkeiten und Wege – und die hat er schon vorbereitet und geht sie mit. (1. Mose 21)
Eine andere Zeit, ein anderer Ort.
Elia, der Tisbiter, ist auf der Flucht vor König Ahab. Dem musste er wegen seines gottlosen Lebens für eine lange Zeit Dürre und Hungersnot ankündigen. Seine erste Station in Richtung Osten ist der Bach Krith, aus dem er trinken kann. Gott sorgt für seine Leute, in diesem Falle hat er den Raben geboten, Elia zu versorgen. Schon faszinierend! Aber auch da versiegt bald das Wasser und Elia wird weitergeschickt nach Zarpath. Kurz vor der Stadt begegnet ihm eine Witwe beim Holzsammeln. Er bittet sie um einen Schluck Wasser und ruft ihr nach, sie möchte doch auch noch ein Stück Brot mitbringen. Da sagt sie: So wahr der HERR, dein Gott, lebt, wenn ich einen Vorrat habe außer einer Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug! Siehe, ich sammle eben ein paar Holzstücke auf, dann will ich hineingehen und es mir und meinem Sohn zubereiten, damit wir es essen und dann sterben. Da sagte Elia zu ihr: Fürchte dich nicht! Geh hinein, tu nach deinem Wort! Doch zuerst bereite mir davon einen kleinen Kuchen zu und bring ihn mir heraus! Dir aber und deinem Sohn magst du danach etwas zubereiten. „Fürchte dich nicht!?“ Ja, ist der Elia denn noch bei Troste? Wie soll das denn gehen, bei einer Handvoll Mehl und einem Restchen Öl? Ist doch klar, dass diese Frau den baldigen Hungertod ihres Kindes und ihren eigenen befürchtet – das ist real! In mir sträubt sich alles, wenn ich das lese: Gib erst mir und dann sieh zu!? Aber Halt! Elia ist kein Politiker, der mit Sonntagsreden viel Schaum schlägt, sondern ein Bote Gottes. In SEINEM Auftrag ist er unterwegs und kehrt bei dieser Frau ein. Dabei hat er eine handfeste Zusage im Gepäck, die auch sofort getestet werden kann und soll: Denn so spricht der HERR, der Gott Israels: Das Mehl im Topf soll nicht ausgehen und das Öl im Krug nicht abnehmen bis auf den Tag, an dem der HERR Regen geben wird auf den Erdboden. Da ging sie hin und tat nach dem Wort Elias. Und sie aß, er und sie und ihr Haus, Tag für Tag. Das Mehl im Topf ging nicht aus, und das Öl im Krug nahm nicht ab nach dem Wort des HERRN, das er durch Elia geredet hatte.
„Fürchte dich nicht, denn so spricht der HERR …“ Ob wir auch manchmal eher unsere eigenen Mängel sehen und verwalten? Gott verspricht und darf daraufhin beim Wort genommen werden. Wie sehr wünschte ich mir eine ähnliche Versorgung in den Hungergebieten dieser Erde! Ob wir als Botinnen unseres Herrn da auch für etwas weniger Hoffnungs – und mehr Furchtlosigkeit bei den betroffenen Menschen sorgen könnten? (1. Könige 17)
Etliche Jahrhunderte später. Ein junges Mädchen, deren Lebensweg klar vorgezeichnet zu sein scheint. Es wird ein ganz normales, alltägliches Leben sein mit Mann und Kindern – vorhersehbar, nichts Spektakuläres. Und dann geschieht etwas, das sie nicht im Plan hatte, gar nicht haben konnte. Sie bekommt hohen Besuch. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, Begnadigte! Der Herr ist mit dir; gesegnet bist du unter den Weibern! Sie aber, als sie ihn sah ward bestürzt über sein Wort und überlegte, was für ein Gruß dies sei. Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade bei Gott gefunden; und siehe, du wirst im Leibe empfangen und einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus heißen. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und der Herr, Gott, wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird über das Haus Jakobs herrschen ewiglich, und seines Reiches wird kein Ende sein. Maria aber sprach zu dem Engel: Wie wird dies sein, dieweil ich keinen Mann kenne? Und der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden.
Fürchte dich nicht! – auch wenn deine Lebensplanung gerade über den Haufen geworfen wird.
Fürchte dich nicht! – obwohl du gar nicht weißt, wie du in diese Situation gekommen bist.
Fürchte dich nicht! – ICH, der Herr kümmere mich um die Reaktion von Joseph und den Familien.
Lasst uns für heute noch auf ein letztes „Fürchte dich nicht!“ hören. Jesus stand in engem Kontakt mit den Menschen seiner Zeit – natürlich besonders mit seinen Mitarbeitern. Viele Menschen kamen aber auch um Rat zu fragen. Den, der ihn für seine Erbstreitigkeiten instrumentalisieren wollte, wies er ab. Für den, der mit Gott ins Reine kommen wollte, hatte er dagegen Zeit, und wenn es mitten in der Nacht war. Immer wieder wies er die Zuhörer auf die wirklich wichtigen Dinge hin. Zum Beispiel tadelte er Oberflächlichkeit und Habgier, Kritiksucht und Ungerechtigkeit, Hartherzigkeit, Egoismus und Lieblosigkeit. Und mitten in die Ermahnungen hinein spricht er sein „Fürchte dich nicht!“ Ich nehme dieses Wort auf, besonders im Hinblick auf unseren Pfarrfrauenbund. Nein, es sind nicht die Massen, die wir bewegen. Manche Kreise überaltern oder lösen sich mangels Nachwuchses auf. Hört gut zu, damit Ihr die Stelle, die zu uns passt, nicht ver-passt.
Er sprach aber zu seinen Jüngern: Deshalb sage ich euch: Seid nicht besorgt für das Leben, was ihr essen, noch für den Leib, was ihr anziehen sollt, denn das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung. … Wer aber unter euch vermag mit Sorgen seiner Größe eine Elle zuzufügen? Wenn ihr nun auch das Geringste nicht vermögt, warum seid ihr um das Übrige besorgt? …. Und ihr, trachtet nicht danach, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, und seid nicht in Unruhe; denn nach all diesem trachten die Nationen der Welt; euer Vater aber weiß, dass ihr dies nötig habt. Trachtet jedoch nach seinem Reich, und dies wird euch hinzugefügt werden. Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben. [Lk 12,23-32 in Auszügen]
Fürchte dich nicht, du kleine Herde – weder wegen sinkender Mitgliederzahlen noch in Zeiten, wo Wechsel angesagt sind. Euer Vater im Himmel weiß das. ER ist ein Gott, der euch sieht, als Einzelperson, in der Familie, Gemeinde und Nachbarschaft. Und auch die Pfarrfrauenkreise sieht ER und weiß, was sie nötig haben. ER wird immer wieder Menschen bereit machen für ihn da zu sein, sich von ihm ausrüsten und senden zu lassen. ER kümmert sich um das, was uns Kummer machen will.
„Fürchte dich nicht!“ denn Gott öffnet uns die Augen für neue Möglichkeiten und Wege, die er schon vorbereitet hat und sie mitgeht.
„Fürchte dich nicht!“ denn Gott gibt handfeste Zusagen, die voll Vertrauen getestet werden können und sollen, ja eingefordert werden dürfen.
„Fürchte dich nicht!“ denn Gott hat deine Lebensplanung liebevoll im Blick und steht für Deine Zukunft ein – auch für die Menschen, die dir am Herzen liegen. Deshalb: Bange machen gilt nicht – genauso wenig wie Weltuntergangsstimmung zu verbreiten. Denn der, der Hölle, Tod und Teufel besiegt hat – Jesus – verspricht: Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir, alle Tage, bis an das Ende der Zeit.
Amen
Bärbel Streich, Löhne